Der dümmste Liebesbeweis

Am 27. Januar 1945, also heute vor 72 Jahren wurde Auschwitz befreit. Diese unfassbaren Morde, absolut sinnfreie Gewalt gegen Menschen. In den Lagern, auf den Wegen dahin. Diese Morde dürfen nie in Vergessenheit geraten. Im Moment gibt es noch Überlebende, die davon berichten können. Doch was, wenn es auch sie nicht mehr gibt? Wenn ich immer wieder höre „was geht mich das heute noch an?“ muss ich den Kopf schütteln. Es ist nicht irgendeine Geschichte, es ist unsere Geschichte. Es hat uns geprägt und wir müssen für die Zukunft daraus lernen.

2016 waren wir in Dachau, Groß-Rosen und auch in Auschwitz. Auschwitz ist schon als Besucher kaum zu ertragen. Als Besucher darf man sich alles nur ansehen, wenn man sich einer Gruppe mit Fremdenführer anschließt, was ich sehr sinnvoll finde. Wir hatten einen Mann, der uns zu jedem Raum und zu jeden Platz Geschichten erzählt hat und es ist so unfassbar, wenn man einen Raum voller Haare oder Schuhe der Opfer sieht. Es ist so unfassbar, das nur still weinen nicht mehr reicht, man möchte einfach nur Schreien.

Und ich bin mir oft nicht sicher, ob ich zu empathisch, oder ob die Menschen zu abgestumpft sind. Besonders geschockt waren C.-P. und ich, als wir in einer Kinderbaracke standen. Hier wurden kleine Kinder ohne Mütter in einen Stall gesperrt, auf engstem Raum, ohne Wasser, ohne Hygiene, mussten wie die Erwachsenen um das pure Überleben kämpfen. Und hier – völlig unfassbar für uns – haben Touristen ihre Spuren hinterlassen. Eingekratzt in die Wände „ich war hier 2015“ oder auch Logos von Fußballvereinen oder auch „Ich liebe Dich“. Was ist das für ein Mensch, der so einen „Liebesbeweis“ in einer Kinderbaracke in Auschwitz hinterlässt? Wie gedankenlos und dumm ist sowas? Ich kann es nicht in Worte fassen. Ich stehe an diesem Ort, höre die Schreie der Menschen die da gestorben sind. Kann mir das Feuer und die großen Verbrennungsöfen vorstellen, den Qualm, den Geruch. Ich stehe da und mir ist schlecht und ich weine.

Wie abgestumpft muss man sein, das man das alles vergessen kann.

C.-P. und ich haben ausschließlich Analog fotografiert, mir kam es so falsch vor, hier mit einem Handy zu knipsen oder eine fette Digicam um den Hals zu haben. Ein paar davon zeige ich heute hier, und möchte daran erinnern, dass es in unserer Geschichte so viel Dunkelheit gibt, und dass es so weit nie wieder kommen darf.

Bücher, die ich zu diesem Thema empfehle:

  • Ich war Doktor Mengeles Assistens von Miklós Nyiszli – Dieses Buch hat mich am tiefsten getroffen. Unfassbar. Wäre dieses Buch Pflichtlektüre in der Schule, würde kein Schüler mehr Herzchen in eine Barackenwand kratzen.
  • In Auschwitz von Sima Vaisman – Ein Erinnerungsprotokoll einer aus Frankreich deportieren Ärztin.
  • Der Holocaust als offenes Geheimnis. Die Deutschen, die NS-Führung und die Alliierten von Frank Bajohr und Dieter Pohl
Januar 28, 2017

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