UN*SCHULD

Obwohl es hier ziemlich ruhig war, war das Thema Fotografie für CP und mich in den letzten Wochen allgegenwärtig. Seitdem das Rotlichtfestival den Open Call mit dem Thema „Zeitgeist“ veröffentlicht hat, drehte sich alles nur noch darum. Am Anfang fiel es mir schwer, einen Bezug zu dem Thema herzustellen. Meine Art, über Fotografie und das Leben im Allgemeinen nachzudenken, ist eher egozentrisch. Das ist nur zum Teil ironisch gemeint. Tatsächlich beschäftige ich mich am liebsten mit meinen eigenen Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen und verarbeite sie durch Malen, Fotografieren oder Basteln. Zeitgeist? Das war für mich schwer greifbar.

Zum Glück ist CP da anders: Er schaut lieber nach außen. Er beobachtet, analysiert und erfasst Zusammenhänge, die anderen verborgen bleiben. Er hat das Thema schnell auf die Umweltfrage bezogen. Wie die Gesellschaft den Zwiespalt zwischen „Wir müssen etwas tun“ und „Aber im Sommer fliegen wir trotzdem nach Hawaii und zu Weihnachten mit dem Kurzstreckenflug nach Wien“ empfindet. Wir sind dann recht schnell auf das Thema Wasser gekommen. Berichte aus Frankreich über stark gesunkene Grundwasserspiegel und die Notwendigkeit, Trinkwasser in Flaschen liefern zu lassen, haben uns erschreckt.

Und dann ging es Schlag auf Schlag:
CP: Thema Wasser.
Ich: Fotografie von Wassergläsern mit Wetplate-Technik.
CP: Die Fashion-Industrie verbraucht unglaublich viel Wasser.
Ich: Ein Kleid aus Wassergläsern-Wetplates?
CP: Fashion-Fotos davon in großen Baryt-Handabzügen?

Daraufhin begann die große Recherche. Über Wasser und Wasserverbrauch, Umwelt, Zeitgeist und auch die Frage – hat das schon mal jemand gemacht? So sind wir auf Paco Rabanne gestoßen, der bereits Ende der 60er Jahre Metallkleider entworfen hat. Wir haben ALLES über ihn gelesen und sind jetzt seine größten Fans. Dieser Prozess hört sich schnell an, hat aber Wochen gedauert. Was dann in den nächsten Wochen uns beschäftigt hat?

  • Passende Kassetten für Hasselblad und Kiev für Wetplates mit einer Größe von 6×6 cm wurden mit einem 3D-Drucker gedruckt.
  • Wassergläser von Freunden und Verwandten gesammelt.
  • Hunderte von Wetplates im Keller hergestellt
  • Einen Schnitt für das Metallkleid an einer Schneiderpuppe entworfen.
  • Jede einzelne Platte an den Kanten geschnitten, lackiert, vier Löcher gestanzt und die Kanten entschärft.
  • Messingringe angebracht, diese verlötet und die Ringe wieder verbunden und erneut gelötet.
  • Das war alles für das Probekleid – nachdem es dann gut aussah und passte, haben wir von vorne begonnen, diesmal aber mit den sortierten, den „richtigen“ Wassergläsern-Wetplates.
  • Wir konnten Yvonne als Model für uns gewinnen und haben das Kleid direkt an sie angepasst. Es sitzt wie eine zweite Haut und wir konnten bei zwei Sessions genügend Negative für die Bewerbung machen.
  • Baryt-Papier Abzüge (wieder Kellerarbeit…)
  • Viel Schreiben… nicht unbedingt unsere Stärke.
  • Texte in möglich sinnvolles Englische übersetzen.

Gestern, am Sonntag, den 30.07.23, haben wir die Bewerbung abgeschickt. Ob es klappt und wir uns in Wien wiedersehen, wissen wir in ein paar Wochen. Aber so oder so, es hat uns gutgetan, mal wieder gemeinsam intensiv an einem Projekt zu arbeiten, abseits des üblichen Alltags. Und wir sind beide stolz auf uns.

Hasselblad-Kassette und Kleid zusammen setzen:

Wer die ganze Bewerbung durchlesen mag, kann das PDF hier downloaden (komplette Bewerbung mit allen Infos, Fotos etc, englisch, 4MB). Wir freuen uns über jedes Feedback! Hier der Text zusätzlich auf Deutsch:

UN*SCHULD
Unschuld, Schuld, und alles was dazwischen ist.

Wir leben in unruhigen Zeiten. Nichts scheint mehr sicher zu sein. Die Menschen sehnen sich nach Normalität und der „guten alten Zeit“. Obwohl wir alle wissen, oder zumindest erahnen, dass wir so nicht weiter mit unserem Planeten umgehen können, verschließen wir die Augen und schieben die nötigen Schritte in eine unbestimmte Zukunft. Der Kampf zwischen denjenigen die endlich die voran gehen wollen um eine lebenswerte Zukunft zu erhalten und der „Weiter so“- Fraktion bestimmen unseren Zeitgeist.

Die Modeindustrie trug im Jahr 2020 zu 10% der weltweiten CO2-Emissionen bei (nur übertroffen von der Ölindustrie) und verbrauchte unglaubliche 79 Billionen Liter Wasser. Ein kostbares Gut, das die Menschheit in naher Zukunft dringend benötigen wird. Trotzdem steigt die Nachfrage nach „Fast-Fashion“ unaufhaltsam weiter. Zwischen 1975 und 2018 hat sich die pro Kopf Produktion verdoppelt, und Schätzungen deuten darauf hin, dass sie bis 2030 nochmals das Doppelte erreichen könnte.

In unserem Projekt möchten wir diese Schizophrenie des heutigen Zeitgeistes porträtieren, und zum Nachdenken über Materialien, insbesondere der Wertvollen Ressource des Wassers, und Respekt vor der Umwelt anregen.

Um das Wasser darzustellen, haben wir uns auf das konzentriert, wo es uns jeden Tag begegnet: das Wasserglas. Bei Freunden und Verwandten haben wir verschiedene Wassergläser zusammengetragen, und mit unterschiedlichen Füllständen auf kleine Wetplates auf Aluminium fotografiert. Aus diesen Wassergläser-Nassplatten entstand ein Kleid – ein Einzelstück und Unikat, wie bei den großen Modedesignern.

Ein Model trägt das Metallkleid mit den Rechtecken aus Aluminium und Ringen aus Messing – ein unangenehmes Material. Abgesehen vom Gewicht heizt es sich bei der Hitze auf und wird eisig bei Kälte – ein einziges Zugeständnis an die Unbequemlichkeit der Mode – und auch ein vorfühlen, wie die Klimakatastrophe uns direkt auf unserer Haut beeinflussen wird. Auf der anderen Seite glänzt und glitzert es, klingt und Klirrt bei jeder Bewegung und Zwischenräume geben Blicke am ganzen Körper frei, nicht nur bestimmte Zonen der Nacktheit, das den sinnlichen Charakter einer ohnehin kaum verschleierten Nacktheit noch steigert. Diese Illusion von Stoff spiegelt auch unsere Illusion und Blindheit gegenüber der Realität wider.

Bei unseren Recherchen stießen wir auf den Modedesigner Paco Rabanne, der bereits Ende der 60er Jahren Kleider aus Metall entworfen hat. Er zeigte damals schon Frauen, die stark, mit dem Kleid gepanzert und laut über den Laufsteg gegangen sind. Schon er hatte den Umgang mit der Umwelt thematisiert.

Wir verwenden allerdings nicht nur Metall (und Plastik), wie Rabanne damals, sondern steigern die Umweltsünde der Modeindustrie zusätzlich, da für Wetplates giftige Chemikalien und sehr viel Wasser verwendet wird. Die Selbstreflektion unserer Verschwendung beim Erstellen unserer Kunst und der eigenen Blindheit dabei, ist ein Teil unseres Werkes.

Große Baryth-Handabzüge des Kleides, im Stile der großen Modemagazine und große einzelne Wetplates mit verschiedenen Wassergläsern bilden einen weiteren Teil der Ausstellung.

Das „untragbare“ Kleid wird bei der Vernissage von einem Model präsentiert, das jegliche Verantwortung für die Umweltsünden, die mit dem Tragen eines solchen Kleides einhergehen, von sich weist. Das Model ist unschuldig, denn die Modeindustrie und in diesem Fall die Künstler sind offensichtlich diejenigen, die diese Sünden begangen haben.

Doch können wir uns wirklich sicher sein? Sind nicht gerade die Konsumenten das eigentliche Problem? Die Grenzen zwischen Schuld, Unschuld und den Schuldzuweisungen verschwimmen.

September 4, 2023

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2 Comments

  1. Antworten

    Bettina

    August 2, 2023

    Von der initial Idee über die Durchführung zum finalen Ergebnis absoluter Wahnsinn.

    Ihr könnt super stolz sein auf das, was ihr da produziert habt. Meine Stimme habt ihr.

    Ich bin mir sehr sehr sicher dass ihr in Vienna mit dabei sein werdet.

    Grüsse aus HH
    Bettina

    • Antworten

      Nicole Malek

      August 2, 2023

      Vielen vielen Dank Bettina! Bin ja immer wieder überrascht, das jemand mitliest. Und dann noch ein Kommentar da lässt… vielen Dank!
      Und es tut wirklich gut das zu lesen – vielen Dank 🙂

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