Ich hatte heute zwei Begegnungen der anderen Art: einmal eine völlig typische Theaterabonnentin, wie sie bei mir in Vorurteilsschublade Nr. 857 abgespeichert ist. Und andererseits ein intellektuell völlig überfordertes Publikum. Meine Vorurteilsschubladen wurden heute allgemein wieder wunderbar gefüllt, und dabei möchte ich noch nicht mal auf den haarspraygestylten, weißhaarigen, dünnen, (stuttgarterisch) akademisch gebildeten Gockel a.D. eingehen, der inzwischen in der Rente viel zu dünn für seine Hose ist und diese eben bis zur schmächtigen Brust hoch zieht. Nein, ich möchte mich auch nicht darüber auslassen, wie die Witwe neben mir von ihrer super intelligenten Tochter erzählt, die als Wissenschaftlerin in den USA arbeitet. Auch nicht der kleine Singel in den besten Jahren (also gerade die Lebensversicherung ausbezahlt bekommen und vermutlich mit Porsche), der alleine in der Pause neben mir stand, und sich die ganze Zeit Anmachsprüche im Kopf ausgedacht hat, sich aber nicht getraut hat tatsächlich einen rauszulassen.
Ich erzähle heute lieber von einem Publikum, das schon von vornherein ziemlich dünn gesät war, da dieses Stück als anspruchsvoll mit aktuellen Themen daher kam. Wer möchte schon ins Theater gehen und denken? Wir möchten unterhalten werden und nicht von einem 22-köpfigen Chor angeschrien werden, was typisch deutsch ist. Wir möchten uns auch nicht gespiegelt sehen, was für Vorurteile jeder in sich hat, und sei er noch so ein Gutmensch. Gedanken, die jeder schon hatte und sich dafür schämt. Es sei denn, er ist aktives Mitglied bei Pegida. Ein Mitglied aus dieser Gruppe, und zusätzlich ohne jede Sinn für Ironie hätte heute Abend vermutlich seinen wahren Spaß gehabt.
Dem Volk aufs Maul geschaut, mit den Simpsons gemixt und fröhlich vorgetragen, jeder Dresdner Rassist kann hier noch etwas dazu lernen. Obwohl das Stück schon zwei Jahre alt ist, wurde exakt dasselbe rausgehauen, was man täglich in Facebook lesen kann.
In der Pause überlegt man sich ernsthaft, ob man lieber geht. Und einige, zu meinem Glück auch dieser große Typ vor mir, hat sich für das Gehen entschieden. Die, die durchgehalten haben, gaben dann spärlich bis gar kein Applaus, und sind wie kleine geprügelte Hunde von dannen gezogen.
Jetzt bezahle ich schon Eintritt und dann wird mir erzählt, was für ein Rassist ich bin? Dabei habe ich doch gar nichts gegen Ausländer. Auch den Flüchtlingen musst doch geholfen werden. Aber. Aber.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich diese Stück empfehlen soll.
Zumindest ich fand es wirklich beeindruckend. Das gesamte Stück hat mich sehr bewegt. Die Frage ist, ob man so etwas aushalten will, kann und muss – wenn man am Feierabend einfach mal ausgehen will. Bei diesem Stück soll man sich wirklich überlegen: möchte ich unterhalten werden? Oder bin ich bereit etwas über mich selbst zu lernen, über meine Ansichten, meine Ängste und ob ich wirklich ein so guter Mensch bin, wie ich mir immer einrede?
ps. was für ein geiles Wortspiel übrigens, gerade die Gutfrau „Barbara“ zu nennen… 😉
Andere Meinungen:
“ ‚Wir sind keine Barbaren!‘ regt an, reißt auf, bietet keine Lösungen und dennoch Stoff ohne Ende, schauspielerisch brillant umgesetzt. Theater als gesellschaftspolitische Aufgabe“, so Katja Schlonski in ihrem Beitrag für Landesschau Baden-Württemberg.